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Nele Saß:

„Für Marx ...“: Was ist politisches Kino? – Fragen an einen neuen russischen Film




„Für Marx...“, Szenenfoto, Foto: Svetlana Baskova
Auf die von Jean-Luc Godard aufgeworfene Frage, wie man nicht nur politische Filme, sondern Filme auch politisch macht, gibt auch der neue Spielfilm von Svetlana Baskova „Für Marx...“ (Russland 2012) eine Antwort. Svetlana Baskova, die als Künstlerin begann, Filme und Videos zu drehen, ist in informierten Kreisen mit ihrem Film „Kleiner, grüner Elefant“ (Russland 1999) bekannt geworden – einem kammerspielartigen experimentellen Werk, in dem zwei russische Männer unterschiedlicher sozialer Herkunft in einer Gefängniszelle aufeinandertreffen, wobei ein (entfernter) Hintergrund kriegerischer Auseinandersetzungen hierfür deutlich gemacht ist. Die beiden Personen beginnen, sich zu bekämpfen und die Art, wie dies geschieht, machte den Film für viele zum „schmutzigsten Film der Kinogeschichte“.

Die gelernte Architektin Svetlana Baskova versteht ihre Filme als Kunst, aber genauso als eine Spiegelung der Sozio- und Psychotypik der gegenwärtigen russischen Gesellschaft. Den erwähnten Film versteht sie als Reaktion auf die ersten Tschetschenienkriege. Gemeinsam mit Anatolij Osmolovskij, einem der bekanntesten russischen Gegenwartskünstler und Theoretiker wie Akteur des russischen Aktionismus der 1990er Jahre, der an ihrem neuen Film ebenfalls beteiligt ist, leitet sie seit einigen Jahren das Institut für Moderne Kunst und Kunstkritik BAZA in Moskau.
In ihrem neuesten Film „Für Marx...“, der sich erstmals an ein größeres Publikum wendet, begegnet man den aus ihren Filmen schon bekannten Schauspielern wieder (zuallererst Vladimir Epifancev und Sergej Pachomov). „Für Marx...“ erntete in der russischen Kritik und auch bei seiner deutschen Premiere auf der diesjährigen Berlinale viel Lob und Zustimmung.
Der Film handelt von der Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft in einer Stahlfabrik und deren scheiterndem Versuch, bessere Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Der künstlerische Spielfilm von Svetlana Baskova, der mit dieser Thematik und vielen weiteren Elementen an das sowjetische Produktionsdrama der 1970er und 80er Jahre anknüpft, arbeitet mit Filmzitaten und mit dem Mittel der Überzeichnung in der Entwicklung des historischen Zusammenstoßes zwischen Arbeitern und Fabrikbesitzern – bei gleichzeitig dokumentarisch spielenden Akteuren (auf beiden Seiten: Arbeitern wie Fabrikbesitzern, der Brecht'sche Begriff des Gestus steht hier Pate) und dennoch aus dem Erzählkino bekannten Konfliktlösungen.


„Für Marx...“, Szenenfoto, Foto: Svetlana Baskova

Der Film kann als Versuch verstanden werden, den auch in der öffentlichen Debatte (beispielsweise auch um die meist im Zentrum der Großstädte agierende Opposition) übergangenen Arbeitern ihre Stimme wiederzugeben. Dass sich auch die künstlerischen Protestformen inzwischen gewandelt haben (denn dieser formuliert sich heute vor allem „aktivistisch“) und in den Frühzeiten des russischen Kapitalismus (also in der Prä-Putin-Ära, in der auch das Filmteam über den Moskauer Aktionismus seine Wurzeln hat) noch andere Formen des wilden Kapitalismus wie auch andere Formen des künstlerischen Protestes en vogue waren (und die Darstellung des Fabrikbesitzers durch Vladimir Epifancev im Film erinnert daran) ist ein weiterer Kontext des Films.
Im Film führt die Anwendung des von Boris Jelzin (tatsächlich) und wohl versehentlich unterzeichneten Gesetzes zur Möglichkeit der Gründung unabhängiger Gewerkschaften mit weitreichenden Rechten bei den Arbeitern der Stahlfabrik letztlich zu einem hollywoodesken Showdown, mit einem dennoch etwas offenen Ausgang...
Das Zitat im Titel bezieht sich auf einen Ausspruch Lenins zugunsten von Karl Marx' berühmter Replik auf Hegels Schriften zur Ästhetik, die sich im „18. Brumaire des Louis Bonaparte“ von 1852 findet und die besagt, dass sich Geschichte wiederholt – nur einmal als Tragödie und einmal als Farce. Die Arbeiter in dem sich als „neo-sowjetisch“ deklarierenden Film betreiben übrigens auch einen Arbeiter-Film-Klub, in dem neben der russischen Kultur- und der internationalen Filmgeschichte auch marxistische Theorien, z.B. des Klassenkampfes, besprochen werden.
Ein Blick zurück auf die Wurzeln – politisch und kulturell – ist sicher auch für den Kulturring und den Kulturbund spannend, und so ist im Januar eine lebhafte Diskussion zu diesen Fragen zu erwarten. Der Film wird Anfang des Jahres überraschend in einigen Berliner Kinos starten und am 14.1. im Kulturbund Treptow gezeigt.

http://www.kulturring.org

«ЗА МАРКСА...»

«За Маркса», режиссер Светлана Баскова, 2012