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Für Marx (ZA MARKSA / ЗА МАРКСА)

http://www.brotfabrik-berlin.de

Russland 2012 - 100 Minuten - OmU - R: Svetlana Baskova - K: Maksim Moskin, Egor Antonov - mit Sergey Pakhomov, Vladimir Epifantsev, Victor Sergachev, Lavrenty Svetlichny

Gegen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen, verdorbenes Kantinenessen, Lohnkürzungen und Entlassungen organisieren Arbeiter einer Stahlfabrik eine unabhängige Gewerkschaft. Die Fabrikbesitzer, auf deren Lohnliste die offizielle Gewerkschaft steht, trachten ihre Aktivitäten nach allen Regeln ihrer Kunst auszuhebeln. „Der vielfach traumatisierte Homo post-sovjeticus findet sich in einer wüsten Gemengelange von Machtansprüchen alter und neuer Despoten wieder - KGB-Generäle, KPdSU-Funktionäre, Oligarchen und Spekulanten – die oft verwandtschaftlich verquickt und immer gnadenlos rücksichtslos sind. In Russland war ein Menschenleben noch nie viel wert. Unter den aktuellen Bedingungen erfährt diese Aggressivität nun ein paar kosmetische Kaschierungen, die im Zweifelsfall blitzschnell aufgehoben werden. Davon handelt der Film. Trotz seines wenig optimistisch stimmenden Endes, ist ‚Za Marksa’ aber auch ein Appell zum Widerstand.“ (taz)

www.youtube.com/watch

 

Nele Saß:

„Für Marx ...“: Was ist politisches Kino? – Fragen an einen neuen russischen Film




„Für Marx...“, Szenenfoto, Foto: Svetlana Baskova
Auf die von Jean-Luc Godard aufgeworfene Frage, wie man nicht nur politische Filme, sondern Filme auch politisch macht, gibt auch der neue Spielfilm von Svetlana Baskova „Für Marx...“ (Russland 2012) eine Antwort. Svetlana Baskova, die als Künstlerin begann, Filme und Videos zu drehen, ist in informierten Kreisen mit ihrem Film „Kleiner, grüner Elefant“ (Russland 1999) bekannt geworden – einem kammerspielartigen experimentellen Werk, in dem zwei russische Männer unterschiedlicher sozialer Herkunft in einer Gefängniszelle aufeinandertreffen, wobei ein (entfernter) Hintergrund kriegerischer Auseinandersetzungen hierfür deutlich gemacht ist. Die beiden Personen beginnen, sich zu bekämpfen und die Art, wie dies geschieht, machte den Film für viele zum „schmutzigsten Film der Kinogeschichte“.

Die gelernte Architektin Svetlana Baskova versteht ihre Filme als Kunst, aber genauso als eine Spiegelung der Sozio- und Psychotypik der gegenwärtigen russischen Gesellschaft. Den erwähnten Film versteht sie als Reaktion auf die ersten Tschetschenienkriege. Gemeinsam mit Anatolij Osmolovskij, einem der bekanntesten russischen Gegenwartskünstler und Theoretiker wie Akteur des russischen Aktionismus der 1990er Jahre, der an ihrem neuen Film ebenfalls beteiligt ist, leitet sie seit einigen Jahren das Institut für Moderne Kunst und Kunstkritik BAZA in Moskau.
In ihrem neuesten Film „Für Marx...“, der sich erstmals an ein größeres Publikum wendet, begegnet man den aus ihren Filmen schon bekannten Schauspielern wieder (zuallererst Vladimir Epifancev und Sergej Pachomov). „Für Marx...“ erntete in der russischen Kritik und auch bei seiner deutschen Premiere auf der diesjährigen Berlinale viel Lob und Zustimmung.
Der Film handelt von der Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft in einer Stahlfabrik und deren scheiterndem Versuch, bessere Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Der künstlerische Spielfilm von Svetlana Baskova, der mit dieser Thematik und vielen weiteren Elementen an das sowjetische Produktionsdrama der 1970er und 80er Jahre anknüpft, arbeitet mit Filmzitaten und mit dem Mittel der Überzeichnung in der Entwicklung des historischen Zusammenstoßes zwischen Arbeitern und Fabrikbesitzern – bei gleichzeitig dokumentarisch spielenden Akteuren (auf beiden Seiten: Arbeitern wie Fabrikbesitzern, der Brecht'sche Begriff des Gestus steht hier Pate) und dennoch aus dem Erzählkino bekannten Konfliktlösungen.


„Für Marx...“, Szenenfoto, Foto: Svetlana Baskova

Der Film kann als Versuch verstanden werden, den auch in der öffentlichen Debatte (beispielsweise auch um die meist im Zentrum der Großstädte agierende Opposition) übergangenen Arbeitern ihre Stimme wiederzugeben. Dass sich auch die künstlerischen Protestformen inzwischen gewandelt haben (denn dieser formuliert sich heute vor allem „aktivistisch“) und in den Frühzeiten des russischen Kapitalismus (also in der Prä-Putin-Ära, in der auch das Filmteam über den Moskauer Aktionismus seine Wurzeln hat) noch andere Formen des wilden Kapitalismus wie auch andere Formen des künstlerischen Protestes en vogue waren (und die Darstellung des Fabrikbesitzers durch Vladimir Epifancev im Film erinnert daran) ist ein weiterer Kontext des Films.
Im Film führt die Anwendung des von Boris Jelzin (tatsächlich) und wohl versehentlich unterzeichneten Gesetzes zur Möglichkeit der Gründung unabhängiger Gewerkschaften mit weitreichenden Rechten bei den Arbeitern der Stahlfabrik letztlich zu einem hollywoodesken Showdown, mit einem dennoch etwas offenen Ausgang...
Das Zitat im Titel bezieht sich auf einen Ausspruch Lenins zugunsten von Karl Marx' berühmter Replik auf Hegels Schriften zur Ästhetik, die sich im „18. Brumaire des Louis Bonaparte“ von 1852 findet und die besagt, dass sich Geschichte wiederholt – nur einmal als Tragödie und einmal als Farce. Die Arbeiter in dem sich als „neo-sowjetisch“ deklarierenden Film betreiben übrigens auch einen Arbeiter-Film-Klub, in dem neben der russischen Kultur- und der internationalen Filmgeschichte auch marxistische Theorien, z.B. des Klassenkampfes, besprochen werden.
Ein Blick zurück auf die Wurzeln – politisch und kulturell – ist sicher auch für den Kulturring und den Kulturbund spannend, und so ist im Januar eine lebhafte Diskussion zu diesen Fragen zu erwarten. Der Film wird Anfang des Jahres überraschend in einigen Berliner Kinos starten und am 14.1. im Kulturbund Treptow gezeigt.

http://www.kulturring.org

Klassenkampf, antipostmodern (BARBARA WURM, www.taz.de)

Klassenkampf, antipostmodern

http://www.taz.de

PROTEST Eine der radikalsten Regie-Existenzen im internationalen Kino: Svetlana Baskovas "neo-sowjetischer" Film "Für Marx …" erzählt von der allgegenwärtigen Ohnmacht im heutigen Russland

VON BARBARA WURM

Russland heute. Ein monströs-ruinöses Stahlwerk irgendwo in der halburbanen Peripherie. Werktätige tuckern im extraklapprigen Bus und mit fossilem Phlegma zur Arbeitsstätte. Klingt realistisch? Soll es auch. Zu sehen sein wird aber: Kampf um Arbeit, Lohn, Würde, Mitspracherecht. Klingt utopisch? Soll es auch.

Denn mit "Für Marx …" - der Originaltitel "Za Marksa …" ist entweder im Sinne eines Toasts ("Auf Marx") oder als Widmung für den Ur- und Übervater zu verstehen - hält ein Kino Einzug, das das ehemalige Underground-Enfant-terrible Svetlana Baskova und ihr Produzenten-Triumvirat als "neosowjetisch" bezeichnen. Was nicht nur bedeutet, Film als Form ideologischer Positionen zu betrachten, sondern auch den Hauch einer (freilich innovativ bearbeiteten) soz-realistischen Ästhetik zu verbreiten, die Realismus und Idealismus bekanntlich in Balance hielt und bewusst schematisierte.

Die Tatsache, dass sich in "Für Marx …" drei Aktivisten - Vorarbeiter, Gießmeister und juragebildeter Marxist - einer (noch unter Jelzin konstitutionell eingeführten) Alternative zum gängigen Modell obrigkeitshöriger Gewerkschaftler besinnen und eine unabhängige Gewerkschaft gründen, wird unter den alten und neuen Despoten des korrumpierten Turbokapitalismus zum Skandalon. Mit allen Mitteln wird das Dreigestirn bekämpft, auf den Miniaufstand in der Zeche, für den ganz wunderbare Formen des sozialistischen Agitprop reaktiviert werden, folgen zunächst die Gegenagitation der offiziellen Arbeitnehmervertreter ("Seid vernünftig, Burschen!") und darauf die massive Erpressung durch die Manager, deren Methoden augenscheinlich an jenen profikriminellen Strategien geschult sind, die sich über die Jahre (besonders die 1990er) erfolgreich in der russischen Praxis etabliert haben. Gegen Ende des Films werden unsere "überflüssigen" Helden nicht nur über sich hinausgewachsen sein und bluten, sondern auch erfahren haben, dass Auflehnung in diesem System das Leben kosten kann.

Dabei tun sie nur, was ihnen gesetzlich zusteht (genauer: zustand, denn als der Film in Russland herauskam, trat ironischerweise Putins umstrittenes Versammlungsverbotsgesetz in Kraft): Sie mobilisieren ihre Genossen, organisieren eine Demonstration. Und nebenbei exzerpieren sie Vissarion Belinskijs revolutionären "Brief an Gogol'" aus dem Jahr 1847 (dessen illegale Lektüre schon Dostojewski die Inhaftierung beschert hatte) oder diskutieren Jean-Luc Godards Film "Le vent de l'est", der (was schon sehr witzig ist) im Kinoklub der Fabrik gezeigt wird. Von einer neuen Arbeiter- und Kulturgeneration von Enthusiasten, die naturgemäß an "CineFantom" erinnert, jenen Filmklub, der in der späten Sowjetunion im Untergrund wirkte und bis heute nicht nur überlebt hat, sondern maximal produktiv ist - u. a. als Produzenten des Films, gemeinsam mit dem linken Hardcore-Aktionskünstler Anatolij Osmolovskij.

Sie haben Baskovas Recherche-Initiative, neokommunistische Organisationsformen in den klassischen Industriestädten zu dokumentieren ("One Solution - Resistance", zu sehen auf ihrer Homepage), aufgegriffen und damit die Karriere einer der radikalsten Regie-Existenzen im internationalen Kino reanimiert. Baskovas koprophage Armee-,Studie' "Kleiner, grüner Elefant" ("Zelenyj slonik") hatte 1999 schockiert, wurde verboten und zum "dreckigsten Film des gesamten 20. Jahrhunderts" gekürt. Damals bildete Tschetschenien den Hintergrund, heute ist die Ohnmacht allgegenwärtig. Damals zielte Baskova auf den Underground, heute konfrontiert sie mit einem Amalgam aus V-Effekt und narrativem Action-Kino die (affirmierte) Masse.

Brecht ernst zu nehmen, Tarkowski zu zitieren, Schukschin zu huldigen und dabei präzise die letzten Generationen der postsozialistischen Machtelite zu sezieren ist eine Kunst, die historische Dimension hat und aktueller nicht sein könnte. Und sogar der filmische Kontext zum Thema "Klassenkampf, antipostmodern" stimmt haarscharf, mit Travis Wilkerson bei "Unknown Pleasures" oder der kommenden Zelimir-Zilnik-Werkschau. "Old School of Capitalism" heißt eine seiner letzten Arbeiten. Ob die USA, Serbien oder Russland - die Parole lautet: "Beat the system!"

"Für Marx …": Acud, Brotfabrik, Krokodil, Lichtblick, zusätzlich im Kulturbund Treptow, 14. 1., 19 Uhr

Die Helden erfahren, dass Auflehnung in diesem System das Leben kosten kann

Im Kino: "Für Marx..." (tip-berlin.de)

http://www.tip-berlin.de

Nach einer wahren Geschichte: Svetlana Baskovas Drama über die Realität des russischen Kapitalismus.

In einer Metallfabrik in Russland brauen sich revolutionäre Kräfte zusammen, um gegen die mafiösen, turbokapitalistischen Chefs aufzubegehren. Filmemacherin Svetlana Baskova erzählt davon in der Tradition sowjetischen Agitprop-Kinos mit Verweisen auf Brecht nebst allerlei philosophischen Referenzen, die sie den Arbeitern theatralisch in den Mund legt. Mit Laien besetzt und in einer echten Gießerei gedreht, ist ihr Low-Budget-Film ein vor allem politisch interessantes Stück russischer Widerstandskunst. Der Kontrast zwischen Schurken und Helden ist stilecht überzogen, allerdings kommt Baskova der Realität vermutlich näher, als einem lieb sein kann.

Text: Ulrike Rechel

Foto: Cinefantom

tip-Bewertung: Annehmbar

Orte und Zeiten: "Für Marx..." im Kino in Berlin

"Za Marska..." RUS 2012; R: Svetlana Baskova; D: Sergey Pakhomov, Vladimir Epifantsev; 106 Minuten;

Kinostart: 9. Januar

 

Kino Krokodil: Für Marx

 www.kino-krokodil.de

Film - So., 19. Januar, 20:15 Uhr

 Kino Krokodil: Für Marx
 RUS 2012, 106 min, OmdU
 Regie: Swetlana Baskowa
baskova.com

"....Gegen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen, verdorbenes Kantinenessen, Lohnkürzungen und Entlassungen organisieren Arbeiter einer Stahlfabrik eine unabhängige Gewerkschaft. Die Fabrikbesitzer, auf deren Lohnliste die offizielle Gewerkschaft steht, trachten ihre Aktivitäten nach allen Regeln ihrer Kunst auszuhebeln. Eher ironisierend als psychologisierend zitiert der Film unterhaltsam und intelligent alle möglichen historischen, literarischen und ästhetischen Diskurse. Während sich der Kapitalist (der hier im Stil von Ölbaronen aus amerikanischen TV-Serien inszeniert ist) um die Mehrung seiner Sammlung repräsentativer Kunst als Ausdruck seiner Macht kümmert, diskutiert man im Arbeiterfilmklub ästhetische Konzepte am Beispiel Brecht versus Hollywood. Und bei den unabhängigen Gewerkschaftern die Thesen des marxistischen Historikers Pokrovsky, der die Geschichte Russlands als eine der Klassenkämpfe erzählt. Inhaltlich ein Stoff für Heldensagen (die Filmgeschichte zeigt, wohin verdorbenes Kantinenessen führen kann), doch der zeitgenössische Turbokapitalismus kennt eher gebrochene Helden und statt Revolution den Showdown. Formal sowohl Brecht als auch Hollywood, V-Effekt und Blutbad. (Katalog Berlinale 2013)......"

Kino Krokodil
 Greifenhagener Str. 32
 10437 Berlin-Prenzlauer Berg
 Tel: 030/ 44 04 92 98

Wir zeigen Ihnen diesen Film auch am:
 9., 10., 11., 13., 14., 15. Januar um 20:00 Uhr
 12. Januar um 19:00 Uhr
 16., 17., 18., 19., 20., 21., 22. Januar um 20:15 Uhr
 23., 24., 25., 26., 27., 28., 29. Januar um 21:30 Uhr 

 

 

 

«ЗА МАРКСА...»

«За Маркса», режиссер Светлана Баскова, 2012